Trauerbegleitung hat doch nichts mit Schmerzpatienten zu tun? – Irrtum!

„Was denn, jetzt willst du mit Schmerzpatienten arbeiten? Ich dachte, du willst deine Trauerbegleitung online bringen!“, bekomme ich zu hören, als ich im Februar 2024 meinem Umfeld berichte, um was es in meinem gratis Onlinekurs gehen soll.
„Mach ich doch“, antworte ich und blicke fast ausnahmslos in verständnislose Gesichter.
Hier herrscht offensichtlich Erklärungsbedarf, und deshalb möchte ich in diesem Artikel erläutern, was Trauerbegleitung mit Schmerzpatienten zu tun hat, bzw. zu tun haben kann.

Trauer ist nicht gleichbedeutend mit Tod

Trauer ist nichts anderes als Verlustschmerz.
Wenn wir den Begriff ‚Trauer‘ hören, dann denken wir unmittelbar an Tod; jemand ist gestorben, und da gibt es Angehörige, die trauern. Und das ist ja auch richtig. Aber schon Sigmund Freud hat den Begriff der Trauer 1916 in seiner Schrift „Trauer und Melancholie“ weiter gefasst:

Trauer ist regelmäßig die Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person oder einer an ihre Stelle getretenen Abstraktion wie Vaterland, Freiheit, ein Ideal usw.

(Freud, Sigmund: Gesammelte Werke. Frankfurt 1963, S. 428f.)

Trauer ist also mehr, d.h. kann anderes sein, als die Reaktion auf Tod.
Wir sind täglich konfrontiert mit Bildern von Krieg, Flucht und Vertreibung. Mit Berichten von politischer Verfolgung. Inzwischen können wir uns, glaube ich, ganz gut vorstellen, wie schwer der Verlust von Heimat und Freiheit wiegt, ebenso der eines Ideals wie Frieden. 

Auf die Schwere des Verlusts zielt auch die Definition von Trauer der Theologin und Trauerforscherin Kerstin Lammer:

Trauer ist die normale Reaktion auf einen bedeutenden Verlust.

(Lammer, Kerstin: Trauer verstehen. Neukirchen 2004, S.9)

Ein Verlust also, den wir als bedeutend empfinden, ruft Trauer hervor.
Mit chronischen Schmerzen zu leben, heißt, dauerhaft seine Gesundheit verloren zu haben.
Ein Leben, das unbeschwert ist.
In dem man aktiv sein kann.
Spontan.
Das ist ein bedeutender Verlust!
In dem Moment, in dem wir als Schmerzpatient realisieren, dass dieser Schmerz, der da entweder schleichend oder plötzlich in unser Leben kam, bleibt, in dem Moment ist nichts mehr wie es vorher war. 
Und in dem Moment tritt eine Reaktion ein, die sich als Trauer beschreiben lässt.

Die Trauerphasen von Schmerzpatienten

Chronische Krankheit hat viele Gesichter, und nicht jede wirkt sich einschneidend auf die Lebensgestaltung und Lebensplanung aus.

Natürlich gibt es chronische Erkrankungen, die händelbar sind. Diabetes zum Beispiel, Schilddrüsenfehlfunktionen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Abhängig von der Schwere der Erkrankung, klar, aber in der Regel gibt es da eine Diagnose und wirksame Medikamente, und wenn man diese regelmäßig nimmt und sich vernünftig verhält, dann kann man arbeiten gehen und ein soziales Leben haben. Da ist es möglich, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, im Idealfall seine Berufung zu leben, eine Familie zu haben, mit Freunden zusammen zu sein, auszugehen und in Urlaub zu fahren.

Andere chronische Erkrankungen lassen diese Normalität oft nicht zu. Neurologische Erkrankungen zum Beispiel, Formen von Krebs, degenerative Erkrankungen und eben chronische Schmerzen. Sie sind alle mit ernsthaften Sorgen um die Zukunft belastet. Sie konfrontieren mit Fragen nach dem Sinn des Lebens. Und sie untergraben das Selbstwertgefühl, im Sinne von: Wer bin ich noch ohne meine Gesundheit?

Das sind dieselben Probleme, mit denen ein trauernder Hinterbliebener kämpft, der sich fragt: Wie soll es weitergehen?, Warum lebt man überhaupt, wenn man ohnehin sterben muss? und Wer bin ich noch ohne dich?

Jemand, der mit ständigen, schweren Schmerzen leben muss, durchläuft oftmals einen komplexen emotionalen Prozess, der der Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen vergleichbar ist. Als chronische Schmerzpatienten betrauern wir den Verlust unserer Gesundheit, unserer Unabhängigkeit und unseres bisherigen Lebensstils. Und wir erleben ebenso wie der trauernde Hinterbliebene verschiedene Phasen in diesem Prozess.
Phasen, die keineswegs chronologisch aufeinander folgen oder vollständig abgeschlossen werden, sondern im Prozess der Verarbeitung der Krankheit immer wieder  aufbrechen.
Diese Phasen können sein:

  • Nicht-wahr-haben-Wollen und Verleugnung
    In dieser Phase ignoriert der Schmerzpatient zum Beispiel medizinische Ratschläge, bzw. sucht nach einer anderen Diagnose, er versucht, weiterzumachen wie bisher, bis gar nichts mehr geht, oder zieht sich sozial zurück, um sich nicht mit der Realität auseinandersetzen zu müssen.

  • Das Aufbrechen großer Gefühle
    In dieser Phase wird der Schmerzpatient von Frustration und Wut überwältigt. Er hat Wutanfälle und sucht einen Schuldigen, d.h., er macht Ärzte, Familie oder bestimmte Umstände für seine Situation verantwortlich. Oder auch eigenes früheres Verhalten, das nun bitter bereut wird. Er fühlt sich vom Leben ungerecht behandelt und reagiert gereizt und frustriert, wenn „normale“ Aktivitäten nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich sind.

  • Verhandeln
    In dieser Phase versucht der Schmerzpatient, die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen. Er verspricht sich zum Beispiel selbst, ab jetzt seinen Lebensstil völlig zu ändern und sich nur noch auf eine bestimmte Art zu ernähren. In dieser Phase sucht er auch fieberhaft nach neuen Behandlungsmethoden, auch nicht anerkannten, und sieht manch Heilsversprechen nicht kritisch genug an.

  • Desorganisation und Verzweiflung
    In dieser Phase herrschen Traurigkeit bis zur Depression und Verzweiflung vor. Der Schmerzpatient erkennt, dass die Schmerzen nicht wieder verschwinden werden und das Leben, das er bisher kannte, verloren ist. Er isoliert sich von Menschen und Aktivitäten, hat kein Interesse und keine Freude mehr an Dingen, die er früher gerne gemacht hat, verliert den Appetit und kann nicht mehr schlafen. Er weiß nicht, wie er mit den Schmerzen leben und seinen Alltag organisieren soll.

  • Akzeptanz und Anpassung
    In dieser Phase beginnt der Schmerzpatient zu akzeptieren, dass er mit den Schmerzen leben muss. Er entwickelt neue Routinen und neue Methoden, im Alltag zurechtzukommen, und sucht sich Unterstützung. In dieser Phase ist der Patient wieder in der Lage, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die ihm trotz der Schmerzen Freude bereiten, und Schritt für Schritt auf ein anderes, neues, aber erfülltes Leben hinzuarbeiten.

Wie ich als Trauerbegleiterin Schmerzpatienten bei der Verarbeitung ihrer Erkrankung helfen kann

Der dauerhafte Verlust von Gesundheit, d.h. eine chronische Krankheit, die das (Alltags-)Leben des jeweils Betroffenen einschneidend verändert, muss ebenso akzeptiert und ins Leben integriert werden wie der Verlust eines geliebten Menschen. Schmerzpatienten haben große emotionale Herausforderungen zu bewältigen und müssen einen Weg finden, mit ihren Schmerzen zu leben. Und hierbei kann ich als Trauerbegleiterin helfen.

Ich schaffe einen geschützten Rahmen, in dem die Betroffenen ihre Gedanken und Gefühle frei äußern können. Viele Schmerzpatienten fühlen sich ja von ihrer unmittelbaren Umgebung isoliert und unverstanden.
Um zu realisieren, was einem widerfahren ist, ist es oft nötig, dieselbe Geschichte, dieselben Gedanken immer und immer wieder zu wiederholen. Dafür haben Familie, Freunde und Kollegen aber schnell kein Ohr mehr. In der Trauerbegleitung ist dafür Zeit und Raum.
Ich unterstütze Schmerzpatienten auch dabei, ihre unangenehmen Gefühle anzuerkennen, zuzulassen und zu verarbeiten. Kläre auf über Wut, Schuld, Scham, Neid, Hilflosigkeit, Einsamkeit und Angst, und wie man damit umgeht.
Der Anpassung an einen verändertes Leben mit Schmerzen kommt eine besondere Bedeutung zu. Ich kann die Betroffenen mit praktischen Übungen und Reflexionsaufgaben anleiten, ihren Alltag umzustrukturieren, eine neue soziale Rolle darin zu finden, ihr Selbstbild neu zu definieren und neuen Sinn in ihrem Leben zu finden.

Also: Doch, Trauerbegleitung hat mit  chronischen Schmerzpatienten zu tun! 
Als Trauerbegleiterin und selbst Betroffene biete ich chronischen Schmerzpatienten Unterstützung und Hoffnung, sich ein neues, erfülltes Leben aufzubauen. Ein Leben, in dem sie sich wieder zugehörig fühlen und das es wert ist, gelebt zu werden.

Wenn auch du mit mir arbeiten möchtest, schreib mir gern eine E-Mail!

2 Kommentare

  1. Liebe Susanne,
    danke für diesen Blick auf Trauer und Verlust.
    Aufklärung und Hilfe für Angehörige und Betroffene ist ein weites Feld. Durch deine persönliche Geschichte kannst du sicher zu mehr Klarheit, Verständnis und Hoffnung führen. Viele Grüße aus Norddeutschland, Antje

    1. Danke Dir für Deine warmen Worte, Antje! Es bedeutet mir etwas zu hören, dass meine Geschichte zu Verständnis und Hoffnung beitragen kann. Ich glaube unbedingt, dass das Teilen gemeinsamer Erfahrungen tröstet und heilt.
      Liebe Grüße aus der Hauptstadt, Susanne

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert