5 Gründe, warum ich Morgenseiten liebe

Morgenseiten, „morning pages“, sind ein tägliches Schreibritual. Die Methode publik gemacht hat die amerikanische Autorin Julia Cameron in ihrem Bestseller „Der Weg des Künstlers“. Dieser hilft seit 1992 Menschen, in Kontakt mit ihrer Kreativität zu kommen und sich selbst zu finden.

Morgenseiten schreiben ist denkbar einfach: Direkt nach dem Aufwachen, wenn das Gehirn noch leicht umnebelt ist, schreibst du per Hand drei Seiten voll, ohne den Stift abzusetzen.
Du brauchst keine Idee, du musst nicht wissen, worüber du schreiben willst, du brauchst dir keine Gedanken über Stil, Struktur, Rechtschreibung oder was auch immer zu machen. Du folgst einfach dem Strom deiner Gedanken, und wenn da nichts kommt, schreibst du „mir fällt nichts ein, mir fällt nichts ein, mir fällt nichts ein“, bis dir wieder was einfällt. Du wirst sehen: Irgendwann taucht immer ein neuer Gedanke in deinem Kopf auf.
Der Trick ist lediglich, die Seiten jeden Tag zu schreiben, egal ob du Lust hast oder nicht. Jeden Morgen. Jeden!

1. Auf meinen Morgenseiten darf ich ich sein

Das Schönste an Morgenseiten ist, dass niemand sie je zu lesen bekommt! Hier kann ich nach Herzenslust jammern, klagen und schimpfen wie mir der Schnabel gewachsen ist. Was mir alles weh tut, wer mich geärgert hat, was ich alles zu tun, wozu ich aber keine Lust habe. Ich muss mich nicht zusammenreißen. Ich muss keine Rücksicht nehmen, auf nichts und niemanden.
Steht dieses Lamento erst einmal da, passiert oft etwas Wunderbares: Ich fange an, davon zu schreiben, was ich mir eigentlich wünsche. Anstelle all der Mühsal wünsche, über die ich mich zuvor beschwert habe. Ich gleite unmerklich über zu meinen Träumen, meiner Sehnsucht, meinen Zielen. Ich komme mir selbst nahe. Diese Form von Selbstreflexion hat etwas von Therapie. Ich bin im Dialog mit mir. Ich bin ganz bei mir. Ich bin 100% ich!

2. Morgenseiten machen den Kopf frei

Man muss Ballast abwerfen, um nach oben zu kommen. Dieses Zitat, das sich auf die Fahrt mit einem Heißluftballon bezieht, habe ich in den 80er Jahren in Christine Brückners Poenichen-Trilogie gelesen, und seither hat der Satz mich begleitet.
Er gilt auch für das Schreiben.
Mit den Morgenseiten werfen wir Ballast ab. Ballast, der uns sonst den ganzen Tag im Kopf herumspuken und daran hindern würde, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ballast in Form von langweiligen To-do-Listen ebenso wie genialen Ideen oder großartigen Plänen. Wenn wir keine Angst haben brauchen, etwas Wichtiges zu vergessen, uns an nichts erinnern müssen, weil es ja schon festgehalten ist, dann liegt unser Fokus ungestört auf dem Schreiben.

3. Morgenseiten wärmen den Schreibmuskel auf

Nationalfußballer treten sich selbst in den Hintern und hüpfen wie Frösche über das Feld. Geigenvirtuosen schrappen über ihre Saiten und spannen sie nach. Operndiven geben merkwürdige Laute von sich.
Alle Profis wärmen sich auf.
Aber wenn es um Schriftsteller und andere Wort-Werker geht, dann schlägt der gute alte Geniekult zu. Da sehen wir vor unserem geistigen Auge den deutschen Dichter und Denker wie er sich an sein Schreibpult stellt und mit rascher Hand ein paar Worte auf das Papier wirft, an die sich noch die Nachwelt erinnert. Die Realität sieht bedauerlicherweise anders aus. Auch der Schreibmuskel will langsam aufgewärmt werden, bevor der Text so richtig fließen kann. Deshalb schreibe ich Morgenseiten.

4. Morgenseiten locken Kreativität hervor

Es gibt einen triftigen Grund dafür, Morgenseiten direkt nach dem Aufwachen zu schreiben: Weil unser innerer Kritiker zu diesem Zeitpunkt noch nicht richtig wach ist! Der uns mit mürrischem Blick über die Schulter schaut und verächtlich „hm“ macht. Der hier die Struktur und dort die Form bemängelt, „und übrigens, hier fehlt ein Komma!“
Und wo der innere Kritiker abwesend ist, kann sich das kreative innere Kind austoben. Sobald all der Müll aus unseren Gedanken raus ist, sobald wir in tieferen Kontakt mit uns selbst getreten sind, steckt das kreative innere Kind nicht selten neugierig seinen Kopf um die Ecke.
Es ist wichtig, noch einmal zu betonen, dass Morgenseiten kein Ziel, keinen Vorsatz, keine Absicht haben. Es geht nur darum, ohne Unterbrechung zu schreiben, bis drei Seiten voll sind. Und dennoch oder gerade deshalb erlebe ich es immer wieder, dass aus meinem Unterbewusstsein völlig neue Ideen auftauchen, die mir in einem anderen Bewusstseinszustand nicht gekommen wären. Ich sage es immer wieder: Morgenseiten sind wie Magie!

5. Morgenseiten erinnern mich an die unendliche Menge Text, die in mir steckt

Plötzlich taucht eine zündende Idee für ein lang gehegtes Problem auf. Plötzlich schreibe ich über ein Thema, das ich gar nicht auf dem Schirm hatte. Plötzlich bevölkern Charaktere meine Gedanken, die ich vorher nicht kannte, lachen und streiten miteinander und fangen an zu handeln. Mein Puls geht hoch, und ich denke: DAS ist was! Und es geschieht völlig ungeplant und unvorhersehbar. Immer, wenn ich diese Magie erlebe, dann weiß ich, dass der Vorrat an Geschichten, die ich in mir trage, unendlich ist. Ich muss sie nur freilegen. Durch Morgenseiten!

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