Meine Faszination für die alten deutschen Monatsnamen beginnt, als ich mit ungefähr 15 Jahren Hermann Hesses Erzählung Heumond lese. Dass sich die Namen nicht an Göttern, Kaisern und Staatsmännern orientieren, sondern an der Lebenswirklichkeit, gefällt mir.
Der Juli hieß früher Heumond, weil in der Landwirtschaft im Juli das erste Mal Heu gemacht wird, nährstoffreiches Futter für Haus- und Nutztiere, eine Lebensnotwendigkeit für Tier und – in seiner Folge – Mensch. Als ich, die Großstadtpflanze, nachlese, entdecke ich Parallelen zwischen dem Heumachen und dem Leben. Es kommt nicht nur auf den richtigen Zeitpunkt (wenn die meisten Gräser blühen), den richtigen Schnitt (7cm über dem Boden) und das richtige Trocknen inklusive Auslegen und Wenden an, sondern vor allem ist Heumachen ein Wettlauf mit dem Wetter. Mit anderen Worten: Man kann sich noch so sehr bemühen, alles richtig zu machen, vor einem Regenschauer ist niemand gefeit. Eine perfekte Zusammenfassung meines Juli 2023!
Kein Geld wie Heu
Wer bin ich, und was will ich?
Anfang des Monats steht in meinem Kurs „The Blog Bang“ von Judith Peters die Über mich – Seite auf dem Programm. Es geht nicht nur darum, technisch eine Seite zu erstellen, was anders als ein Blogbeitrag funktioniert, sondern vor allem geht es um Inhalt für diese Seite und die Beantwortung der Frage: Wer bin ich, was kann ich und welches sind meine Überzeugungen? Dies immer klarer herauszuschälen und zu formulieren, ist nicht gerade unwichtig, schließlich möchte ich mit dem, was ich kann und bin mal Geld verdienen.
Ich schlage äußerlich eine Schlacht mit dem Coverbild und der Platzierung von Text darauf, und kämpfe innerlich den Kampf, ob und wie ich meine eigene Geschichte zu Markte trage. Ich schreibe viele Entwürfe, liege mehrere Nächte wach, und plötzlich ist sie fertig, meine Seite Über mich. Ich bin so stolz wie schon lange nicht mehr!
Doch die Freude währt nicht lang. Im Feedback-Bereich des Kurses wird beklagt, mein Gesicht sei abgeschnitten. Nach einer Woche Schweiß und Tränen und dem Versuch herauszufinden, warum auf meinem Computer alles in Ordnung ist, aber nicht auf allen fremden, stellt sich heraus, dass mein Coverfoto sehr wohl vollständig erscheint, man muss nur ein bisschen scrollen. Das erscheint mir zumutbar.
Am 12. Juli schreibe ich meinen ersten „12 von 12“- Artikel, der mir wegen seiner vielen Fotos viel Spaß macht und mir den allerersten Kommentar überhaupt einbringt. Und ganz wie Stefanie Seitz, die den technischen Support des Kurses leistet, vorhergesagt hat, ist die Freude darüber riesig.
Haltet den Dieb – oder: Die Polizei freut sich auf meinen Besuch!
Weniger riesig ist die Freude, als ich feststelle, dass meine Kreditkarte gehackt wurde. Als ich mich auf meinem Onlinekonto einlogge, finde ich vier Abbuchungen von amerikanischen „Firmen“, deren Namen lediglich aus einer Reihe Großbuchstaben bestehen. Am selben Abend berichtet die Tagesschau von umfangreichem Datenklau durch mangelhafte Datensicherung bei Banken. Allen voran meiner, die mit der blauen Schrift auf gelbem Grund, die mich ebenfalls ganz stolz auf ihrer neuen IT-Plattform willkommen heißt, aber bei der Umstellung offenbar nicht alles richtig gemacht hat. Ich bekomme eine neue Karte, mit ihrem Eintreffen verschwindet die Abrechnung der alten, und ich kann nichts mehr nachweisen.
Ich erstatte Anzeige.
Nachdem ich über ein gespenstisch leeres Gelände geschickt wurde, empfängt mich ein schweigender Beamter an einer Glastür und führt mich durch ein gespenstisch stilles Revier. Auf einem Eisenbänkchen hockend warte ich in einem düsteren Flur mit Blick auf drei Tötungsdelikte, einer davon ein Cold Case, und eine Fahndung nach einem mutmaßlichen Mörder. Daneben die Einladung zum Tag der offenen Tür in Spandau. Die Türen des Polizeiabschnitts 45 hingegen sind definitiv verschlossen, ohne Klingeln und Anmeldung geht hier nichts. Ein weiterer Beamter erscheint und geleitet mich noch tiefer ins Labyrinth der Freunde und Helfer, ehe ich mein Anliegen vortragen kann.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Ich wurde sehr höflich und zuvorkommend behandelt, die Ruhe an diesem Nachmittag hin oder her, die Jungs und Mädels von der Polizei haben einen schweren Job, und ich bin froh, dass es sie gibt!
Heumachen auf die musikalische und die bunte Art
Am 22. Juli geht in Berlin der Internationale Jazz-Workshop der Musikschule City West zu Ende mit einem Abschlusskonzert der Teilnehmer im traditionsreichen Jazzclub Kunstfabrik Schlot. Im Workshop soll wachsen, was die jazzbegeisterten Laien an Fähigkeiten mitbringen, auf dass sie sich von ihren neu gewonnenen Kenntnissen bis zum nächsten Mal nähren können – Heumachen auf die musikalische Art.
Als ich gewahr werde, dass das Publikum überwiegend aus Freunden und Familie besteht, fühle ich mich um Jahrzehnte zurückversetzt in einen Raum mit vier Reihen Stühlen vor einem schwarz glänzenden Flügel, von Angstschweiß getränkter Luft, überblasenen Blockflöten und quietschenden Geigen: Schülervorspiel. Davor hab ich mich immer möglichst gedrückt. Hier läuft alles deutlich legerer ab, die integrierte Bar schenkt fleißig aus, auf der Bühne geht es nach tagelanger Beschäftigung mit Improvisation, Komposition und Groove vor allem ums Miteinander.
Wir machen uns zu Fuß auf vom Club nahe des S-Bahnhofs Nordbahnhof bis zum S-Bahnhof Brandenburger Tor. In den vielen Stunden, die ich mit Technik- Kung Fu in Sachen Blog und Startseite vor dem Laptop verbracht habe, ist mein Ziel von zehntausend Schritten pro Tag mal wieder etwas zu kurz gekommen. Ich sinniere schweigend vor mich hin. Die Bands, die im Jazzworkshop aus den Teilnehmern gebildet wurden, haben eines meiner Lieblingsthemen aufgebracht: Jede Gruppe ist immer nur so gut wie ihr schwächstes Glied. Ein Argument, das ich fast ausschließlich im Zusammenhang mit Sportmannschaften höre; sicher wird es der ein oder andere Kommentator im Laufe der gerade begonnenen Frauen-WM im Fußball fallen lassen. Natürlich gilt es auch für eine musikalische Gruppe. In beiden Fällen, Fußballteam und Band, wird das Prinzip relativ einfach offenbar, durch Sehen oder Hören. Es gilt aber auch in der Gesellschaft insgesamt. Eine Gesellschaft, die ihre Schwächsten abhängt, die Ressourcenschwachen, die Alten und die Kranken, hat schon verloren. Diese Überlegung hätte ich mir nicht nur während der Pandemie von manchem Zeitgenossen gewünscht.
Unter den Linden treffen wir auf die Ausläufer des Christopher Street Days. Die Stimmung ist fröhlich, friedlich und entspannt. Auf dem S-Bahnsteig dreht sich ein bunter Paradiesvogel, breitet die Schwingen seines roten Capes aus und lässt sich lachend von den Fahrgästen fotografieren. Der Kampf für eine regenbogenfarbene Gesellschaft ist noch nicht zu Ende, aber das erste Heu ist eingefahren.
Wenn das (politische) Wetter die Mühe zunichte macht: Margarete Heymann-Loebenstein
Meine zu Besuch in Berlin weilende Freundin möchte mit mir am letzten Wochenende des Monats in eine Ausstellung im Bröhan-Museum gehen. Ob ich Margarete Heymann-Loebenstein und ihre HAÉL – Werkstätten für künstlerische Keramik kenne? Kenne ich nicht, wir gehen hin.
Margarete Heymann-Loebenstein (1899-1990) erweist sich als ein trauriges Beispiel dafür, dass man alles richtig machen, aber das Wetter, in diesem Fall die politische Großwetterlage, alles zunichte machen kann.
Sie schafft es, am Bauhaus in Weimar aufgenommen zu werden, kämpft dort aber vergeblich gegen Gropius und Marcks, der die keramische Werkstatt am Bauhaus leitet, weil die Herren der Meinung sind, Keramik sei eine Männerdomäne. Sie gründet 1923 mit Mann und Schwager die HAÉL- Werkstätten, verkauft ihre avantgardistischen Entwürfe in ganz Europa, nach Algerien und Südamerika, da sterben Mann und Schwager bei einem Autounfall. Wenige Jahre später verliert sie obendrein ihren fünfjährigen Jüngsten. Sie entwickelt sich zur klugen Geschäftsfrau und führt den Betrieb mit 100 Angestellten durch die Weltwirtschaftskrise, dann kommen die Nationalsozialisten, die ihr, der Jüdin, das Leben schwer machen. 1934 übergeben die Nazis die Werkstätten an Hedwig Bollhagen mit ihrer bäuerlich anmutenden Gebrauchskeramik, Margarete Heymann-Loebenstein flieht zwei Jahre später mit ihrem ältesten Sohn nach England, wo sie an ihre früheren Erfolge nicht mehr anknüpfen kann.
Ich hoffe, dass in den nächsten Jahren die Biografie dieser Frau noch weiter erforscht wird. Ein Schicksal, das mich berührt.
Das habe ich im Juli 2023 gebloggt
Neben der Über mich – Seite und der Startseite sind es immerhin noch drei Artikel geworden:
Darauf freue ich mich im August
- Weiterzubloggen!
- Weniger Technik-Kung Fu, dafür mehr Zeit fürs (kreative) Schreiben
- Meinen Geburtstag und einen Minitrip nach Lüneburg