Monatsrückblick August 2023: Unter dem Erntemond

Erntemond – diese alte Monatsbezeichnung für den August ist immerhin selbsterklärend. Gefühlt habe ich vor allem schiefe Blicke geerntet, als ich an Blech und Seele zerbeult auf der Straße stand. In meine Foto-App sind im August die Bilder nur so wie reife Früchte ins Gras gepurzelt. Aber von Dank, Lob oder gar Beifall und Lorbeeren kann keine Rede sein. Und so klingt meine Ernte-Bilanz ähnlich wie die der Landwirtschaft in den Nachrichten: durchwachsen.

Eine Bilder-Ernte, die reich ausfällt

Lüneburg

Auf diese Kurzreise nach Lüneburg hatte ich mich schon lange gefreut. Hanse, Alte Salzstraße, so etwas begeistert mich. Natürlich sind die Tage von unserem Unfall überschattet, aber wir versuchen, das Beste draus zu machen.
Am ersten Abend gehen wir essen, und während wir uns über den Stadtplan beugen, spricht uns ein echter Lüneburger an, der seinen wöchentlichen Stammtisch in dem offenbar sonst eher von Studenten frequentierten Lokal hat. Er erzählt, dass die Straße, in der er aufwuchs, das Epizentrum des Senkungsgebiets über dem Salzstock ist, die Häuser dort wegen Einsturzgefahr abgerissen werden mussten. Zu groß war einst die Gier nach dem Salz, mit dem sich Geld verdienen ließ, jetzt ist die Altstadt Lüneburgs in Bewegung. Auf das Geheiß des netten Herrn hin schauen wir uns das Tor zur Unterwelt an und hüten uns davor, alles, was jünger als 15. Jahrhundert ist, als ‚Altstadt‘ zu bezeichnen.
Die Michaeliskirche in der echten Altstadt hat leider immer zu, wenn wir daran vorbeikommen, ins Salzmuseum schaffen wir es umständehalber auch nicht, aber wir streifen durch die kleinen Straßen, gehen und sitzen an der Ilmenau, finden versteckte Perlen der Gastronomie. Im Kloster Lüne lassen wir uns in der Weberei erklären, was man alles über das fertige Textil wissen muss, bevor man den Webstuhl bespannen kann. Am liebsten hätte ich mich sofort zu einem Webkurs angemeldet!

Prignitz und Wendland

Sowohl in Lenzen als auch in Hitzacker war ich früher schon einmal. Weil ich mich aber an beide kaum noch erinnern kann, will ich nochmal hin. Die beiden Orte trennen ungefähr vierzig Kilometer und die Elbe. Schläfrig entspannt brüten sie in der Sommerwärme; wie immer träume ich mich in die Häuser hinein und richte mein Schreibstübchen ein.

Stadtspaziergänge

Wenn ich in der Zeit der großen Ferien durch meine Stadt streife, kommt mir immer eine Passage aus Maarten `t Harts Roman „In unnütz toller Wut“ in den Sinn:

Wenn die Niederlande am schönsten sind, wenn die Temperaturen angenehm und es selten glühendheiß ist, (…) dann gehen alle auf Reisen. (…) Für die Daheimgebliebenen brechen himmlische Monate an (…).

Maarten t Hart, In unnnütz toller Wut

Dass es nicht glühend heiß ist, kann man zwar nicht behaupten, aber der Unterschied zwischen Ferienzeit und Nicht-Ferienzeit ist spürbar. Solange man die touristischen Hotspots umgeht, sind die Straßen Berlins deutlich leerer, das Gedränge an der Supermarktkasse plötzlich weg. Ich trinke einen Kaffee am Viktoria-Luise-Platz, einen Kakao am Markusplatz, wandere durch die Straßen und stolpere ein ums andere Mal, weil ich immer an den Fassaden der herrlichen Altbauten hochgucken muss.

Rheinsberg

Am letzten Wochenende der Sommerferien planen wir noch einmal einen größeren Ausflug. Museumspark Rüdersdorf: Veranstaltung mit Sperrung des halben Areals. Funkerberg in Königs Wusterhausen: Bauarbeiten. Also wird es Schloss Rheinsberg.
Rheinsberg, ein Ort, dem einzig wegen TucholskysRheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ ein Zauber anhaftet. Anfang der Neunziger war ich das letzte Mal dort, und ich erinnere mich, dass wir essen waren und anschließend sagten: Überirdische Preise, unterirdische Qualität. Dreißig Jahre später hat sich daran leider nichts geändert. Man setzt auf Touristen, die in stetem Strom in Bussen herangefahren werden und sowieso nie wiederkehren. Trösten kann da nur Tucholsky:

Dies alles umarmen können, nicht, weil es gut oder schön ist, sondern weil es da ist, weil sich die Wolkenbänke weiß und wattig lagern, weil wir leben!

Kurt Tucholsky, Rheinsberg

Lorbeeren, die hängen bleiben

Auf dem Weg nach Lüneburg haben wir einen Unfall.
Vor genau dreißig Jahren habe ich meinen Führerschein gemacht, nie ist mir irgendetwas passiert. Und ausgerechnet jetzt, mit einem privat geliehenen Auto, kracht es. Ich wechsle auf eine Linksabbiegerspur, plötzlich schießt von hinten links ein Wagen an mir vorbei, schert vor dem Gegenverkehr dicht vor mir wieder ein und kracht vorn in mich rein.
Ich erleide eine kleine Panikattacke und hyperventiliere. Zwei Wochen später wird mein Reisegefährte in einem Erste Hilfe-Kurs, den er von Berufs wegen absolvieren muss, zum Besten geben, was man mit einem hyperventilierenden Menschen macht. Aber in diesem Augenblick hüpft er auf der Straße zwischen uns, dem gegnerischen Fahrzeug und einem Zeugen, bald auch der Polizei, hin und her, während ich nach wie vor hinter dem Steuer sitze, meine Füße, Unterschenkel und Hände taub werden, letzere in Pfötchenstellung gehen, sich die Finger nicht mehr bewegen lassen und sich zunehmend ein fester Ring um meinen unteren Brustkorb legt. Ohne mein Zutun zieht und zieht „ES“ Luft. Hätte ich das nicht schon einmal erlebt, würde ich glauben, mein letztes Stündlein habe geschlagen.
Weil der Zeuge mich komisch anguckt, guckt auch mal mein Gefährte genauer. Es gelingt mir, das Wort „Tüte“ zu keuchen, da halten auch schon unabhängig voneinander zwei freundliche Damen, die eine Arzthelferin, die andere Sanitäterin, und zählen mit mir meine Ausatemzüge in die uralte Plastiktüte, in der das Bordbuch steckt. Die Damen beschließen, einen Krankenwagen zu rufen, der mit Blaulicht herbeibraust. Ich werde untersucht, die Polizei stellt mir Fragen, aber im Grunde bekomme ich wenig mit, mir ist benommen und schwindlig. Der Krankenwagen möchte mich mitnehmen, ich möchte das nicht.
Irgendwann lässt die Polizei uns weiterfahren, ich diesmal auf dem Beifahrersitz. Wäre ich gefahren, hätte ich sofort bemerkt, dass sich die Lenkung anders anfühlt als vor dem Unfall. So stellt sich erst später heraus, dass der Wagen nicht mehr fahrtüchtig ist.
Tagelang vergeblich in der telefonischen Warteschleife der Versicherung gehangen, persönlich vorstellig geworden, Berichte und Zeugenaussagen für Versicherung und Polizei geschrieben, mit der Werkstatt gesprochen, bislang schreitet die Sache nicht voran. Das Auto steht noch immer in Lüneburg. Eine Katastrophe für die Besitzerin, die auf das Auto angewiesen ist. Beide haben wir schlaflose Nächte, sobald ich die Augen schließe, erlebe ich fiktive Unfälle, und mir haftet das klebrige Gefühl von Schuld an, auch wenn ich mich am Unfall selbst nicht schuldig fühle.

Und ein kleiner Erfolg zum Schluss

Am letzten Tag des Monats ernte ich dann doch noch einen kleinen Erfolg. Frühmorgens klingelt mich meine Bank aus dem Schlaf, versichert sich durch eine endlos erscheinende Reihe Sicherheitsabfragen, dass ich ich bin, und teilt mir mit, man habe mein Begehren auf Rückbuchung der dubiosen Abbuchungen von meinem Kreditkartenkonto geprüft und werde das Geld meinem Konto gutschreiben. Einige Tage zuvor war ich wieder einmal in Sachen geknackter Kreditkarte (siehe mein 12 von 12 : Juli 2023) auf der Bank gewesen. Eine Dreiviertelstunde in der Schlange gestanden, dann noch einmal eine Dreiviertelstunde am Schalter selbst. Während ich auf die Rückkehr des Mitarbeiters warte, der mit dem Kartenservice telefoniert, fällt mein Blick auf das Gerät, mit dem der Kunde Zahlungen tätigen kann. „KEINE KREDITKARTEN!“ in roter Schrift. Diese Bank traut ihren eigenen Kreditkarten nicht! Zu Recht.

Das habe ich im August gebloggt

Darauf freue ich mich im September

  • Ganz viel Nordisches in Berlin: Munch, norwegischer Jazz und dänischer Film.
  • Den Stapel ungelesener Bücher zu verringern.
  • …und natürlich auf neue spannende Blog-Themen!

Wie war dein August 2023? Wenn auch du etwas Außergewöhnliches erlebt hast, schreibe es gern unten in den Kommentar!

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Kategorisiert in Rückblicke

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